4.3.2. Talseitig - Begseitig, Tief - Hoch

'Die meisten archaischen Akha Texte, die wir kennen, scheinen die Akha als in mittlerer Hanghöhe [mid-slope] situiert und in multiethnischer Situation zu reflektieren. Diese Situation ist, wie auch immer, gegenteilig sttrukturiert zum thai Hierarchiemodell ('sakdina') , wo die Niedrigsten des Sozialsystems höchstgelegen situiert sind (Mon-Khmer Gruppen wie zB Wa, Bulang, Khmu, Htin, Dulong) und die sozial am höchsten Stehenden in der Tiefe, dem Tal und den Ebenen, siedeln.' (Geusau 1997:27)

In ihrer mythologischen Weltanschauung befinden die Akha sich im Mittelpunkt des Universums, während die Chinesen, Shan, etc. am Rand angesiedelt sind. Das Zentrum der Akha ist keine Stadt, und kein Berggipfel, sondern ein Dorf in mittlerer Hanghöhe. 'Die Wahl des Ortes vermittelt zwischen den Extremen Oben [upslope] und Unten [downslope], und versucht den Widersspruch zu überkommen' (Geusau 1997:263)

Das wird zum Beispiel durch den Begräbnistext illustriert, wo das Dorf der Ahnen, das prototypysche Akha Dorf, beschrieben wird. Der Priester begleitet die Seele den halben Weg lang Richtung Dorf der Ahnen zurück, dann gibt er ihr Anweisungen, welchen Weg sie weiterfolgen soll.

Auf der Fläche eines Holzstückes werden Linien eingebrannt, die den Adern eines Pflanzenblattes ähneln.

Grunefeld (1982:101) sieht in dem etwa 30cm langen, flachen Stück Holz, das für die Zeremonie hergestellt wird, eine galare , also die Form, die die typischen Akha-Dachgiebel meist haben.

Schüttler (1992:57) wiederum berichtet, daß diese Brettform einen stilisierten Reislöffel darstellen soll. (4:11)

Eine Längsmittellinie wird durch 3 Querlinien im rechten Winkel unterteilt. Die drei Flächen, die dadurch entstehen, werden wiederum durch je eine Querlinie halbiert und diese Querlinien mit je zwei Nebenlinien versehen. (siehe Abb. 12a+b)

Die Linien repräsentieren den Weg des Verstorbenen zurück ins Dorf der Ahnen. Während mit einem Stöckchen die Linien auf der rechten Seite nachgezogen werden, singt der Schamane in archaischer Akha-Sprache:

Um das Dorf der Ahnen zu erreichen, gibt es drei Wege;
Um die alte Frau zu erreichen, hat der Weg drei Biegungen;
Nimm nicht den Weg hangabwärts!
Hangabwärts ist der Weg der schrecklichen Tode. (4:12)
Nimm nicht den Weg hangaufwärts!
Hangaufwärts ist der Weg der schrecklichen Tode!
Der Mittelweg ist der Weg zu den Ahnen.
Das gleiche gilt für die drei Dörfer:
Das Dorf unten am Hang ist das Dorf der schrecklichen Tode.
Das Dorf oben am Hang ist das Dorf der schrecklichen Tode.
Das Dorf in der Mitte vom Hang ist das Dorf der Ahnen.
(Begräbnistext, übersetzt von Inga-Lill Hanson
1983:280f)

Der Text wird sooft wiederholt, bis das andere Ende des Brettes erreicht ist. Dann hat die Seele des Verstorbenen das Dorf der Ahnen erreicht. Dort trennt sich der Sänger von der Seele und tritt den Rückweg an, indem er die Linien auf der gegenüberliegenden Seite auf gleiche Weise zurück zum Ausgangspunkt nachfährt. (Abb. 12b)

Die Berg - Tal Dichotomie, mit den Akha in Mitte plaziert, ist kein dialektisches Spiel. Die Akha Literatur schildert an ettlichen Stellen, daß sie einst an den bewaldeten Ufern von Flußarmen ihre Naßreisfelder anlegten. Ist Wasser verfügbar, stellt Terrassenreisbau [irrigated field] eine stabilere Produktionsgrundlage als Bergreisbau dar, was permanente Siedlungen begünstigt, wodurch generell wiederum die Entwicklung von Landbesitztum und Klassenbildung in einer Gesellschaft begünstigt.

Doch die Akha, deren Gesellschaftsorganisation keine Kriegerschicht kannte, wurden von stärkeren Volksgruppen von ihrem Anbaugebiet in die weniger fruchtbaren, schwer bearbeitbaren Berghänge verdrängt. Das unattraktive Land wurde ihnen nicht mehr streitig gemacht, Trockenreisanabau [swiddening agriculture] wurde das vorwiegende Modell und die Hangfelder zum Symbol von Sicherheit. (4:13)

In Gesängen und Rezitationen tauchen immer wieder zwiespältige Referenzen über Tal- und Bergfelder auf. Einige Akha Gruppen in Burma betreiben beide Arten von Feldanbau und das Zentrum ihres zeremoniellen Lebens ist das Tieflandfeld, nicht das Berghangfeld.
Viele Akha Dörfer bevorzugen es außerdem, sich nach dem nächsten Fluß zu benennen und nicht nach dem Berg.

Geusau (1983:264) schlußfolgert daher, daß die symbolische Ambivalenz von Berg / hoch - Tal / tief aus der historischen Erfahrung des Volkes als unterlegene Minderheit entstanden ist, und es so kulturell verankert wurde, daß die ökologische Nische am Mittelhang bevorzugte Heimat und religiöses Zentrum wurde.

Ein weiterer Begräbnistext macht deutlich, wie die Bevorzugung der Mitte (zwischen hoch und tief) trotz und wegen des Wissens der benachteiligten Situierung stattfindet, in der sie vor Vertreibung sicher sind. Die hohe Bewertung der Mittelhanglage ergibt sich geradezu aus seinem geringen ökonomischen Wert.

Die Völker flußabwärts besitzen Silber,
laß deine Seele nicht zu ihrem Silber wandern;
Die Völker flußaufwärts besitzen old,
denke nicht an ihr Gold.
Das Silber flußabwärts ist flüchtig wie der Hahnenschrei,
Es verschwindet wie ein Vögelchen,
daß keck mit den Schwanzfedern wackelt und dann über neun Länder fliegt.
Das Gold flußaufwärts ist flüchtig wie der Schrei einer Taube;
es ist unvorhersehbar wie das Abfallen von Vogeldung auf die Shanfelder;
In meinem eigenen Haus, wo es nichts gibt, lebe ich als gäbe es viel; In meinem eigenen Haus, wo es nichts gibt, laß ich
die Dinge seien, als gäbe es viel;
Sich um den Boden kümmern, sich um das Gepflanzte kümmern,
um des alten und des neuen Reis Willen.
(übersetzt von Inga-Lill Hanson, 1983:283)

Kammerer (1984) untersuchte, wie das Konzept von Höhe und Tiefe in die Architektur und im alltäglichen Handlungen im Haus berücksichtigt wird.

Der Hausinnenraum ist durch die zwei Achsen Weiblich - Männlich und bergseitig - talseitig in vier Vierteln definiert: w-b, w-t, m-b, m-t.

Eine Trennwand teilt die hangabwärtige Hälfte in den Bereich der Männer und der Frauen. Das Akha Wort 'Wand' wird in zwei Kontexten verwendet: eine Wand aufstellen, um einen Raum zu schaffen; und eine Wand aufstellen, um Distanz zwischen etwas zu bringen. (Kammerer 1984:42)
Die zweite Trennlinie (berg-/talseitig) ist virtuell und wird durch den Mittelpfosten markiert.

Ob Stelzenhaus oder ebenerdiges Haus, die Talseite des Hauses ist durch Untersätze erhöht, um den Fußboden eben zu halten. Geht man im Haus Richtung talseitige Wand, wird das in Akha Sprache ’hinaufsteigenŒ genannt, geht man zur hangseitigen Wand, ’steigt man hinunterŒ. (Kammerer 1984:44)

Je mehr sich eine Person daher der Talseite nähert, desto ’höherŒ steigt sie im Sprachgebrauch hinauf: Den höchstbewerteten Ort des Hauses stellt schließlich der Hauptpfosten dar, der als erster errichtet wurde und das talseitige Ende der Unterteilungswand markiert.

Der Ahnenkultplatz, ein spezieller Korb, ist immer auf der Frauenseite neben dem Hauptpfosten untergebracht. (4.14.)

Auf der Männerseite sind neben dem Hauptpfosten die Gebisse erlegter Dschungeltiere aufgehängt, dort finden auch die Zeremonien statt, die Jagdtiere und Jagd betreffen. Im Falle von Spezialisten wie Dzoema oder Pima hängen dort ihre Zeremonienutensilien.

Die Familie schläft mit dem Kopf zur (hoch bewerteten) Talseite gerichtet, die Füße zur (niedrig bewerteten) Bergseite gerichtet. (Kammerer 1984:37) Nächst zur Trennwand schlafen die älteste Frau (auf der Frauenseite) und der familienälteste Mann (auf der Männerseite), dann die anderen Familienmitglieder in der jeweiligen Hälfte.

Zu gewissen Gelegenheiten allerdings wird die Bergseite höher bewertet als die Talseite. So wird etwa der spezielle Reis, der als Ahnengabe verwendet wird, immer an der höchst gelegenen Stelle des Feldes angepflanzt, während der Reis für den täglichen Nahrungsbedarf am Fuß des Hangs angebaut wird. (Kammerer 1984:46)

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