Das Akha-Netzwerk

Informationstransfer und Kommunikationssysteme der Volksgruppe der Akha im Goldenen Dreieck

Der Pfad gabelt sich vor dem Bombentrichter. Biegt man rechts ab, gelangt man zum Mekong, der dort die Grenze zwischen Laos und Burma zieht. Ich aber steige den steilen Weg hinauf, der von links abzweigte und taucht abrupt, als ich die Bergkuppe erreiche, aus dem Dschungel auf. Das Panorama waldbedeckter, sanft geschwungener Bergrücken wirkt in der grellen Mittagssonne milchig-überbelichtet. Am gegenüberliegenden Hang kann ich das Akha- Dorf erkennen, zu dem ich unterwegs war.

Das Volk der Akhas umfaßt etwa 2,5 Millionen Menschen. Sie leben nicht in einem zusammenhängenden Territorium, sondern verstreut im Grenzgebiet von Thailand, Myanmar, China, Vietnam und Laos, wo sie die schwer zugänglichen und bebaubaren Berghänge bewirtschaften. Ich war nun seit 9 Stunden zu Fuß unterwegs, um eines dieser Dörfer, das im Goldenen Dreieck auf laotischem Gebiet lag, zu besuchen.
Die netzhafte Siedlungsstruktur, das Fehlen einer zentralen Koordination, die Bedeutungslosigkeit von Staatsgrenzen auf die kulturelle Identität der Akhas, begann mich an die Eigenschaften des Internets zu erinnern.

"Ma-a, das erste Prinzip, gab allen Völkern ein Alphabet. Er beschenkte die Akha mit einem Wasserbüffelleder, auf welchem Buchstaben geschrieben standen. Dieses Leder konnten sie nur schwerlich aufbewahren: Wenn sie feucht wurde, schwellte sie an. Wurde es aber im Haus gelagert, fraßen es die Ratten. Also aßen die Akha die beschriebene Haut, weil sie meinten, es sei besser, wenn sie ihr Wissen in sich aufbewahrten. Das ist der Grund, warum das Volk der Akha ein so ausgezeichnetes Gedächtnis hat."

Während die Alten Ägypter die Warnung des König Thamus vor der Schrift, nämlich daß diese Scheinwissen und Vergeßlichkeit mit sich bringe, wie wir in Platos Phaidrus nachlesen können, in den Wind schlugen, verwenden die Akha nachwievor keine Schrift.

Die zahlreichen ungeschriebenen Legenden, Lieder und Weisheiten der Akhas, die jeden Lebensaspekt wie Geschichte, Natur, Moral, Liebe, Tod und Zusammenleben behandeln (vgl Studien von Geusau), ähnelten in meiner Vorstellung den Online-Inhalte, nicht nur in der thematischen Weitläufigkeit, sondern auch in ihrer Flüchtigkeit. Während die Akha-Literatur schwer greifbar ist, weil sie nur im Gedächtnis der Einzelpersonen existiert, mußte der Umgang mit dem im Internet publizierten Schriftdokument neu definiert werden., denn jeder Autor kann seine Webseite jederzeit ändern, die konservierende und verbindliche Funktion von Schrift fiel plötzlich weg.

Mich begann nun zu interessieren, wie sich das Volk der Akha seine kulturelle Identität und Erinnerung unter solchen Bedingungen erhalten konnte.
Wie konnten sie dann über mehr als zwei Jahrtausende ihre umfassende Literatur bewahren, die in ihrem Ausmaß etwa mit den taoistischen oder biblischen Weisheiten verglichen werden kann?

Es ist gar nicht so lange her, daß ausgerechnet hier, eine unerschlossensten Landstriche Südostasiens, die Himelayaausläufer in Nordlaos, Einsatzgebiet von Datentransfertechnologien wurde, die den letzten Stand der Entwicklungen demonstrierten.

Diese Aktivitäten liefen unter dem Namen "Das andere Theater", was nichts anderes darstellte als den Decknamen für den "Heimlichen Krieg" der USA gegen Pathet Lao ('Land Laos') - die laotische Nationalbewegung gegen die französische Fremdherrschaft, die ihre Anfänge in den 30er Jahren unter dem Einfluß des kommunistischen Viethminh genommen hatte.

Die Vorgeschichte war folgende: Seit Laos die Unabhängikeit gewonnen hatte, war auch der linker Block Teil der (sehr wackligen) Koalitionsregierung. Als sich abzeichnete, daß dieser immer mehr an Popularität und Macht gewann, wurde die Genfer Konferenz (1961) einberufen, um zu verhindern, daß Laos die nächste Spielwiese der Superpowers werde, mit dem Ergebnis, daß Laos neutralen Status erhielt und die Präsenz ausländischer Militärs absolut verboten wurden.

Die folgende Koalitionsregierung zertstritt sich genauso schnell wie die vorangegangenen. Pathet Lao zog die Konsequenzen, und sich auf ihr Stammland zurück: den Norden, der von diversen Bergminderheiten, unter anderem den Akhas, dünn besiedelt wurde. Der heutige laotische Innenminister, Axang Laoli, war einer der vielen jungen Akha-Männer, die sich der Bewegung anschlossen. Von hier aus wollten sie die Regierungsmacht zurückerlangen. Das bedeutete den Startschuß für die USA, zu intervenieren .

Die Kernfrage der amerikanischen Operateure war, wie sie die Feindesbewegung kontrollieren könnten, die im Schutz des dichten Blätterdaches oder der Finsternis stattfand, ohne militärisch präsent sein zu dürfen. Also entwickelten sie Technologien, die die Herausforderung des Urwaldes, der Monsungewitter, der nächtlichen Dunkelheit, aber auch des Vertrages von Genf, annahmen und darauf abzielten, der Wildnis Informationen abzutrotzen und zeitgleich weiterzusenden.

Außerdem war die Basis des Pathet Lao nicht zentral gelegen, sondern verteilt auf die über die Berge zerstreuten, großteils voneinander unabhängigen Dörfer. Um also die Pathet Lao Bewegung, aber auch den Nachschubweg des Viethcong - den Ho Chi Minh Pfad - zu vernichten, bediente sich die USA nicht nur ziellosen Teppichbombardements (das Laos den traurigen Rekord einbrachte, zum meist bebombten Land der Erde auf per Capita Basis zu werden), sondern auch ortsspezifischer Technologie zur Erstellung und Übermittlung von Daten über die Feindesvektoren, die Paul Virilio in 'Krieg und Kino' beschreibt:

Die sogenannte McNamara-Linie entlang der Grenzpfade zu Laos bestand aus akkustischen und seismographischen Detektoren, die den amerikanischen Basen in Thailand über Nachschubtransaktionen nach Laos informierten.
Infrarotaufnahmen und Thermographologie wurde zur Nachterkennung von Flugzeugen aus durchgeführt- im Falle des RPV Teledyne Ryan sogar von einem ferngesteuerten Flieger aus. Die Daten wurden direkt in das US-Überwachungszentrum in Thailand überspielt. Dort wurden die computerisierten Bilder mit Orts- und Zeitangabe versehen und Analytikern bereitgestellt, die die mittels dieser Information errechneten Feindeskoordinaten Bombern weitersandten, die sich beim Erledigen ihres Auftrages daran orientierten.

Diese High-Tech-Versionen an Informationstransfersystemen sind aus Nordlaos wie ein Spuk verschwunden -

Der stundenlange Gesang des Schamanen am Abend des zweiten Festtages ist im Wortlaut ident mit den Texten, die von den Schamanen in Yunnan, im Shan Staat, in Nordthhailand zu diesem Anlaß vorgetragen werden. Denn jede Generation übernimmt die Texte durch ihre 'Kultur-Spezialisten' (vgl. Leo Alting von Geusau) wie Schamane, Dorfoberhaupt, Silberschmied , die sie ungefähr zehn Jahre lang einlernen, bis sie fähig sind, sie wortgenau zu Anlässen wiederzugeben.

Die Akha verehren ihre Ahnen, und ihr Bewußtsein für die Bedeutung ihres tratitionellen Wissens, das mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wird, als auch der linearen Kontinuität, um ihr Überleben zu sichern, wird hochgehalten.

Akha, die einander zum ersten Mal treffen, rezitieren -natürlich auswendig - ihre Genealogie von etwa 65 Generationen, die immer mit dem mythischen Gründer Sumi-O endet. Doch davor splittet sich die Verzweigungen des Vorfahrenstammbaums, durch den der andere feststellen kann, welcher alten Familiengruppe sie angehören und in welcher Generation sie miteinander verwandt sind.

Mich erinnerte das an Ray Bradburys Roman 'Fahrenheit 451'. In einer bücherlosen Gesellschaft - in diesem Fall, weil Bücher vom Regime verboten wurden - erhalten die abseits lebenden Büchermenschen die Buchinhalte am Leben, indem sie sie auswendiglernen und sich gegenseitig erzählen. Sie wollen auf diese Art die Bücher so viele Generationen lang erhalten, bis sie die Zeit kommt, in der Bücher wieder existieren und verwendet werden dürfen .

Die ersten, die den Akhas die Schrift 'zurückbrachten', waren christliche Missionare. In Ignoranz dessen, wie untrennbar der religiöse Aspekt der Akhakultur mit den anderen Lebensbereichen verwoben ist, gaben sie das Geheimnis der Schrift nur denen preis, die bereit waren, sich von ihren traditionellen Weisheiten abzuwenden, und in Zukunft die christliche Heilige Schrift zu leben. Das waren nur wenige.
In Laos beginnt nun der Staat, die Akhas zu alphabetisieren - in einigen, wenigen Dörfern unterrichtet ein Lehrer die Kinder zwei Jahre lang die laotischen Schrift. Meistens versteht der Lehrer, die Lehrerin kein Wort Akha und die Kinder kein Wort Laotisch. Alle 5 Nationen, in denen die Akhas leben, benützen eigene Schriften für die Verwaltungssprache. Vorschläge von NGOs, die in China und Thailand eingeführte Akha-Schrift, die auf lateinischen Zeichen beruht und daher neutraler und international verständlicher ist, zu unterrichten, sind bisher abgelehnt worden. Die laotische Regierung möchte mit der Alphabetisierung aller ethnischen Gruppen auch Nationalbewußtsein oder gar Patriotismus einführen. Da es nichteinmal genug Mittel gibt, um allen den Zugang zur zweijährigen Grundschule zu ermöglichen, rückt schon aus diesen Gründen die Vision vom Akha-Schrift-Unterricht in die Ferne.

Zeitungen oder Briefverkehr werden zwischen den Akhas wohl noch länger nicht zum alltäglichen Informationsmittel zählen - nicht nur wegen dem Fehlen einer Schrift, sondern auch wegen der Unzugänglichkeit ihrer Dörfer, die zwischen einer Stunde und zwei Tage Fußmarsch von dem nächstgelegenen Marktplatz im Tal entfernt liegen. Umso verbindendere Rolle spielt daher das Akha Radio, das von Thailand und China aus Musik, Neuigkeiten und Geschichten sendet.
Und vielleicht wird ja die Geschichte der Informationstransfer- und Kommunikationssystheme im Goldenen Dreieck weiter durcheinandergebracht, und bevor noch Transportstraßen oder Fernsehen das Akha-Netzwerk an das globale Netz anschließen werden, werden Webcasting und Audio-Emailing zum Akha-Alltag gehören?

Manu.Luksch, London 1997

[Quellen zu Akha Kultur: Leo Alting von Geusau]

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